Wie resilient muss ich sein?

Claudia Pusch

März 28, 2020

Resilienz

In meinem Beitrag möchte ich die Spannbreite dessen, was wir im Alltäglichen unter Resilienz verstehen ausweiten. Ausdrücklich möchte ich jenen Mut machen, die gerade nicht an sich glauben. Weil sie denken, andere gehen viel resilienter mit der Corona Krise um. Mit Resilienz ist unsere psychische Widerstandskraft gemeint. Leider wird sie oft gleichgesetzt mit Attributen, wie absolut stark und krisenfest zu sein? Ist es wirklich so?

Im Moment höre ich oft: „Ich bin resilient, mir kann die Krise nichts anhaben.“ Es gibt Menschen, die die momentane Situation (fast) spurlos an sich abprallen lassen können.

Gehörst Du auch dazu?

Das zeigt, dass Du vermutlich viele Ressourcen und Bewältigungsmechanismen aufgebaut hast, die Dir jetzt helfen. Vielleicht bist Du gut darin, aktiv nach Lösungen und Bewältigungsstrategien zu suchen. Bestimmt glaubst Du an deine Kraft, schwierige Situationen meistern zu können, weil Du schon so manche tiefe Täler durchquert hast. Das nennt man Selbstwirksamkeit, die neben einem guten Netzwerk und vertrauensvollen Beziehungen sowie einer optimistischen Haltung zu den wirksamsten Resilienzfaktoren zählt.

Gerade jetzt können wir wieder stärker spüren, welche Kraft wir besitzen. Wir brauchen Herausforderungen, um zu wachsen und unseren Resilienz-Muskel zu trainieren. Wenn Du dich also nicht stark genug fühlst, vielleicht niedergeschlagen, hilflos, ängstlich, oder aufgewühlt bist, dann kannst Du jetzt das Immunsystem deiner Seele in Gang bringen.

Wir werden resilienter indem wir Krisen und Herausforderungen als Anlass für Entwicklung nutzen.

In welcher Zeitspanne und in welchem Tempo das passieren sollte ist nicht festgesetzt. Es ist nicht so, dass die einen von Natur aus mehr Resilienz haben und die anderen nicht. Am Anfang der Forschung hat man das tatsächlich noch geglaubt. Heute wissen wir, dass jeder eine innere Stärke hat und sie weiterentwickeln kann.

Welche Ressourcen und Resilienzfaktoren stehen Dir gerade zur Verfügung?

Stell Dir eine Waage vor. Auf der einen Seite sind Stressoren und Risikofaktoren, auf der anderen Seite findest du Ressourcen sowie Schutz- und Resilienzfaktoren. Meine Kollegin Dr. Tatjana Reichhart und ich legen unter Berücksichtigung der aktuellen Forschung in unserer Weiterbildung zum Resilienz-Coach folgende sechs Resilienzfaktoren zugrunde: Regulationsfähigkeit (im Denken, Fühlen und Verhalten), Optimismus, Selbstwirksamkeit, Beziehungen & Soziales Netzwerk, Sinn & Werte sowie Zukunfts-und Lösungsorientierung.

Wie halte ich die Waage im Gleichgewicht?

Richtig, wenn Stressoren und Risikofaktoren nach unten ziehen, brauche ich ein Gegengewicht. Die Erfahrung ist, dass, schon ganz kleine Dinge auf der Plusseite das Pendel in Bewegung bringen können. Wie das gehen kann? Dazu werde ich in den nächsten Tagen einen weiteren Blogartikel zum Thema „So bleibe ich gesund.“ veröffentlichen. Außerdem nehmen meine Kollegin Dr. Tatjana Reichhart und ich bald Videos zum Thema Resilienz auf, die Anfang April über das kitchen2soul erhältlich sein werden.

Wenn Deine Waage im Moment nicht ausgeglichen ist:

Mache dir bewusst, welche Ressourcen Du hast und überlege, wie Du sie nutzen kannst. Ich bin mir sicher, dass Du in anderen Bereichen und Situationen schon stark bist. Denn Resilienz ist situationsabhängig. Manche sind auf diese Art der Situation einfach schon besser vorbereitet oder es macht ihnen einfach weniger aus. Es gibt Menschen, die gerade jetzt aufblühen. Sie sind vielleicht existentiell abgesichert, machen sich grundsätzlich im Leben weniger Sorgen, sehen Corona als Chance, können jetzt endlich ihre Fähigkeiten (z.B. ihre Hilfsbereitschaft) so richtig zur Geltung bringen. Ihre Waagschale ist bereits mit den auf die Herausforderung passenden Ressourcen und Schutzfaktoren ausgestattet.

Vielleicht gehörst Du aber zu denen, die von den Umständen getriggert werden. Eine Coachee hat berichtet, dass sie als Kind starke Asthmaanfälle hatte, bei der sie kaum Luft bekam. Corona bringt sie, ähnlich wie bei einem Kurzschluss, unmittelbar zu alten Empfindungen zurück. Es können Ängste aufgewirbelt werden, die lange ruhen konnten. Nicht immer können wir die Gefühle gleich zuordnen, wie in diesem Beispiel. Das sind Faktoren im Innen, die uns verletzlicher machen können. Aber auch Isolation, Einsamkeit oder Überbelegung mit Home-Schooling und Home-Office können einiges auslösen. Oder Existenzängste. Das ist überhaupt nicht banal!

Wir werden stärker mit dem konfrontiert, was als Konfliktpotenzial schon immer da war. Und wo viele Ablenkungen versiegen, sind wir deutlicher auf uns selbst zurückgeworfen. Da können die eigenen Bewältigungskompetenzen schnell überfordert sein. Das ist normal. Es  braucht einen Anpassungsprozess, um die Waagschale wieder ins Lot zu bringen.

Wie also bleibe ich widerstandsfähig?

Ich bleibe resilient, indem ich mich an die neuen Erfordernisse einer Situation anpasse (und das braucht manchmal Zeit, bis ich soweit bin) oder ich kann bereits vieles einsetzen (damit wären wir wieder am Anfang von meinem Blog).

Unsere Resilienz ist dynamisch, was bedeutet, dass sie im Lebensverlauf zwar grundsätzlich die Tendenz hat kraftvoller zu werden. Aber es kann auch zu saisonalen Einbrüchen kommen.

Aus der Biologie gibt es einen schönen Vergleich mit Bäumen. Wenn ein Sturm aufzieht und in einen Wald hineinbläst, gibt es Bäume, die 

resistent sind. Sie sehen hinterher genauso aus wie vorher. Es kann sein, dass sie Glück hatten und einen guten Standort dazu. Weil der Wind dort einfach nicht so stark war. Wo sie die Wurzeln gut in die Erde schlagen konnten. Wo die Erde fest war und sie bei prächtiger Gesundheit.

Dann gibt es Bäume, die biegen und brechen sich, werfen Blätter und Äste ab, sehen ganz zerzaust und gebeutelt aus, aber regenerieren sich mit der Zeit wieder. Blätter und Äste wachsen nach und lassen den Baum in einem neuen Antlitz erstrahlen.

Und wenn der Wind immer von einer Seite kommen würde, dann wird sich der Baum mit der Zeit anpassen und nur noch zu einer Seite weiter wachsen. Das kennst Du bestimmt von Bäumen, die am Meer wachsen. Das nennt man Konfiguration.

Der Baum ist in allen drei Fällen widerstandsfähig, also resilient, bei Resistenz, Regeneration und Konfiguration.

Das ist mir wichtig zu sagen: Es gibt viele Arten resilient zu sein oder sich vermeintlich so zu fühlen. Denn resistent zu sein z.B. wird im derzeitigen Sprachgebrauch oft mit Resilienz verwechselt. Ich erlebe es in meinen Kursen oft, dass gerade resistente Menschen zu starr agieren, zu viel stemmen und zuviel aushalten. Alles abprallen zu müssen kostet auf Dauer viel Kraft. Manchmal muss man sich biegen, sich durchschütteln lassen, damit Neues entstehen kann.
Ich durfte viele berührende Prozesse miterleben, wo (nach eigenen Aussagen) resistente Teilnehmer nach Jahrzehnten der Unbiegsamkeit in eine Regenerationsphase gefunden haben. Wie sie dicke Mauern loslassen und Gefühle zulassen konnten. Hinterher war deutlich mehr frisches Grün nachgewachsen.

Wir sind also auch resilient, wenn wir die Resilienzfaktoren variabel bespielen. In der einen Situation ist es gut lösungsorientiert nach vorne zu preschen und sofort ins Handeln zu gehen. In einer anderen Situation brauchen wir Rückzug, müssen jammern und schwach sein dürfen. Als Ressource stehen uns hier auch unsere diversen Rollen zur Verfügung, da sie uns ermöglichen je nach Kontext unterschiedlich zu sein. Das erhöht die Variabilität unserer Verhaltensmöglichkeiten. Das wichtigste ist, dass wir flexibel auf die aktuellen Erfordernisse reagieren. Das erfordert eine Reflexions- und Veränderungsbereitschaft.

Immer mit den gleichen Mustern zu agieren, kann uns, auch wenn sie sich bisher als sehr wirksam erwiesen haben, in die Enge führen.

Zusammengefasst ist Resilienz dynamisch, situationsspezifisch, variabel und mehrdimensional. Letzteres hatte ich noch nicht erwähnt. Damit ist gemeint, dass sich Resilienz nicht nur im Bereich der Psyche, sondern auch auf unserer biologischen Ausstattung und auf einer Makroeben auch auf Gesellschaften, Unternehmen und Teams anwenden lässt. Sie zeigt sich in einer resistenten, regenerierenden oder konfigurierenden Reaktion auf einen Auslöser.

Das wichtigste ist mir zu sagen: Wir sind alle auf eine unterschiedliche Art und Weise widerstandsfähig, sind durch innere und äußere Risikofaktoren und Stressoren unterschiedlich (vor)belastet und wir brauchen alle unser eigenes Tempo um mehr psychische Widerstandkraft zu entwickeln!

Jede Krise ist eine Chance. In diesem Sinne, alles Gute!
Eure

P.S.: Wie hat Euch der Beitrag gefallen? Konnte ich etwas anstoßen, Euch unterstützen? Habt Ihr Fragen? Ich freue mich über Euer Feedback und Eure Kommentare 🙂

Bemerkungen:
1. Der Vergleich mit den drei Bäumen stammt aus Veröffentlichungen des Deutschen Resilienz-Zentrums in Mainz.
2. Definition von Resilienz:
„Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen.“ (Welter-Enderling & Hildenbrand, 2006, S. 13

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Ich bin Claudia Pusch, systemische Beraterin und Therapeutin. Ich unterstütze Privatpersonen und Unternehmen bei Wendepunkten und Umbrüchen im Leben und in der Arbeit.

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